Okt, 2011

Über den Tellerrand

… zu blicken würde sich schon lohnen!

NHL in Berlin

2000 Leute reisten von Österreich nach Berlin, um sich ein Eishockeyspiel anzusehen, in dem weder eine österreichische Clubmannschaft noch die Nationalmannschaft spielten. Wie kommt das? Es war ein NHL-Spiel, das soviele Österreicher in Deutschlands Hauptstadt zog. Vielmehr war es wahrscheinlich Thomas Vanek, Eishockeyspieler aus Österreich im Dienste der Buffalo Sabres, der die ganzen Landsleute angezogen hatte. Genauso verhielt es sich mit den deutschen Zuschauern, die das Team der Buffalo Sabres stärker anfeuerten als den Gegner Los Angeles Kings, weil Christian Ehrhoff für Buffalo spielt. Ach ja genau, es war übrigens die Begegnung Los Angeles Kings gegen Buffalo Sabres. Dieses Spiel hat die NHL zu Werbezwecken nach Europa verlegt.

Die Amerikaner haben bereits über den Tellerrand gesehen…

warm-up

Was vor 15 Jahren nicht mal annähernd in Erwägung gezogen wurde, ist heute schon fast routinemäßiges Procedere in der NHL. Man gastiert zu Saisonbeginn in Europa. Die vollen Stadien und die positive Resonanz der eurpäischen Eishockeyfans gibt den Machern der NHL Recht. Es war absolut der richtige Schritt, um den Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad der nordamerikanischen Profiliga in Europa zu erhöhen. Man verschließt sich auf der anderen Seite des großen Teiches überhaupt weniger vor neuen Ideen. Um Eishockey auch für Fernsehübertragungen attraktiver zu machen, hat die NHL sogar das ganze Spielfeld geändert. Viele Zuschauer, die nicht so vertraut mit dem Eishockeysport waren, haben bemängelt, dass man häufig nicht mit der Geschwindigkeit des Spieles mitkommt. Zu rasant wechselt das Spiel von einer auf die andere Seite. Das ergaben mehrere Umfragen. Was kann man da tun? In Deutschland hätte die Antwort ungefähr so ausgesehen: „Da kann man überhaupt nichts machen! So ist Eishockey einfach.“ Und diese Antwort wäre unisono überall so zu hören gewesen. Wer anderer Meinung gewesen wäre, hätte den Sport einfach nicht richtig verstanden! Was aber macht die beste und größte Liga der Welt? Sie ändert ganz einfach so das Spielfeld. Deutlich größere Offensiv-Drittel und ein sehr kleines Mitteldrittel haben dazu geführt, dass sich ein Großteil des Spiels in einem Drittel abspielt. Das ist für den allgemeinen Fernsehzuschauer sehr viel besser verfolgbar. Jahre später, genauer gesagt beim Spiel Los Angeles gegen Buffalo Sabres in Berlin und im folgenden Spiel Eisbären gegen Adler Mannheim, merkt man in Deutschland (unter anderem sogar Hans Zach!), wie vorteilhaft diese Änderung ist. Man wurde über den Tellerrand gehoben. Ob wirklich jeder über ihn gesehen hat wage ich zu bezweifeln.

Viele Europäer blicken auch schon über den Tellerrand…

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Doch auch in Europa haben sich die ersten „Drüberschauenden“ geoutet. Unter ihnen findet man einen gewissen Peter John Lee, der dafür schon ganz schön viel Kritik einstecken musste. Als er seine Eisbären Berlin für die erste European Trophy angemeldet hat, kam promt die Reaktion der heimischen Liga. „Eine Frechheit, dass die Berliner meinen, die Liga, ihren Spielplan und die restlichen Teams mit Füßen treten zu können.“ Gernot Tripke, Geschäftsführer der DEL, wollte den Eisbären die Teilnahme verweigern. Schlimmstenfalls hätten die Berliner mit Punktestrafen oder sogar dem Ausschluss aus der Liga rechnen müssen. Das ist greade mal eineinhalb Jahre her! Die skandinavischen Vertreter aus Finnland und Schweden waren sich schneller einig, dass diese European Trophy eine sehr gute Idee ist, um europäisches Clubeishockey auf eine neues Niveau zu bringen. Im Westen tront die NHL, im Osten droht die KHL und in der Mitte hüpfen immer noch zuviele Kleingeister umher, die nicht einsehen wollen, dass eine länderübergreifende Liga auch in Zentraleuropa sehr viel Potantial hat. In Tschechien hat man das erkannt. Und, wie in einem früheren Beitrag erwähnt, spielt der Südosten schon mehrere Jahre länderübergreifend in der EBEL.

Ist der Tellerrand in Deutschland zu hoch?

Oder sind „die Macher“ einfach zu alt? Mit dieser kritischen Frage mache ich mir bestimmt nicht nur Freunde. Doch man MUSS sich diese Frage in Deutschland ernsthaft stellen. Im Alter klettert und hüpft es sich nunmal nicht mehr so gut. Doch irgendwie muss man doch über den Tellerrand kommen, um drüber sehen zu können. Wie hoch können Leute wie Erich KühnhacklFranz ReindlGernot Tripke oder Oliver Seliger noch „hüpfen“? In meinen Augen gar nicht! Ich kann mir vorstellen, dass in den Augen diverser Herren die Tatsache, dass Berlin und Mannheim auf einer kleineren Eisfläche spielten, eine gewisse Wettbewerbsverzerrung hervorgerufen hat. Ich bin mir jedoch auch sicher, dass es in Deutschland genügend junge, innovative Seelen mit Verstand gibt, die nicht nur im Eishockey einen hohen Wissensstand aufweisen. Vor kurzem wurde mir diese Tatsache sogar bewiesen. Nach ein oder zwei deb-kritischen Beiträgen hier beim Hockey Blog, kontaktierte mich ein gewisser Manuel Hüttl, nebenbei Vice-Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes, und bat um Meinungsaustausch. Wie bitte? Keine Drohungen, kein Kräftemessen und nicht die geringste Schelte über meinen mangelnden Wissensstand. Da war ich doch überrascht! Sehr erfrischend verlief dann auch der Termin in München. Die Inhalte des Gesprächs könnten einen eigenen Blogbeitrag füllen. Aber der Beweis wurde erbracht. Es gibt sie, die junge Generation mit neuen Ideen und Ansichten. Auch der Manager der DEG, Lance Nethery, wurde hier mit seinem Gedanken, die Weltmeisterschaft in den September zu verlegen, bereits zitiert. Uwe Krupp ging bei der Zusammenstellung der Nationalmannschaft ebenfalls einen neuen Weg und rekrutierte gleich mehrere AHL Spieler („ist ja nur die zweite Liga in Nordamerika…) für die Heim-WM 2010. Wie das ausging wissen wir alle! Es gibt also einige Beispiele für Pioniergeister in der deutschen Eishockeywelt. Sie sind nur zu wenig, um Grundlegendes zu verändern. Wie reif Deutschland für Neues, Transparenz und Innovation ist, wir der mehrfach erwähnte runde Tisch im Rahmen des Deutschland-Cups 2011 (als dessen Pate man durchaus Manuel Hüttl sehen kann) zeigen.

Über den Tellerrand fallen oder blicken!

So wie sich die Dinge derzeit entwickeln, bleiben zwei Möglichkeiten übrig, wie es weitergehen wird.

Man macht einfach so weiter wie bisher, zankt sich, streitet an allen Ecken und Enden, kümmert und schert sich nur um sein eigenes kleines Reich und … fällt dabei über den Tellerrand ins totale Eishockey-Nirwana. Dann wird es noch mehr Pleiten geben, auch Sky wird sein Interesse an Eishockey verlieren, ehemalige Profis beantragen zukünftig Harz IV um den Lebensunterhalt bestreiten zu können und die Eisbären Berlin gewinnen die zehnte Meisterschaft in Folge.

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Oder man öffnet die Türen für eine neue Generation an Funktionären, Geschäftsführern und Managern. Man hört sich Ideen, Vorschläge und Meinungen an, ohne sie sofort im Keim zu ersticken und „totzulamentieren“. Man schafft Freiräume für große Vorhaben und gibt im Gegenzug kleinen Anpassungen Zeit, sich zu bewähren. Zusammenfassend könnte man sagen, alle Beteiligten erlauben der Sportart einen kompletten Neustart mit z.T. völlig neuen Bedingungen und Voraussetzungen. Mittlerweile gibt es sogar eine Facebook-Petition für mehr Eishockey im freien Fernsehen. So eine Medium muss man allerdings wahrnehmen, annehmen und zu nutzen verstehen…

Wo oder was ist überhaupt der Tellerrand?

Der Sport in Deutschland hat so viele Förderer, unterstützende Organisationen und kooperierende Institutionen die man nutzen kann. Nur im Eishockey hat man jede Tür, die irgendwann einen Spalt weit geöffnet wurde mit einer Brachialgewalt und Torheit zugeknallt, dass es nicht zu glauben ist. Wenn der DOSB das Gespräch sucht, schickt der DEB seine Sekretärin. Wenn die Bundeswehr Sportfördergruppen anbietet, schafft es die 1. Bundesliga Jahr für Jahr Plätze zu verlieren anstatt das Kontingent kontinuierlich auszubauen. Wenn sich Fans zu einer Vereinigung zusammenschließen, erklärt die DEL, dass man von den Fans nie und nimmer (über)leben kann. Dabei frage ich mich, wer im Fernsehen für die Einschaltquoten sorgt, die für Sponsoren von entscheidender Bedeutung sind. Wo genau liegt also der Tellerrand über den man blicken müsste?

Er liegt am Rande jedes Vereins, der sich selbst der Wichtigste ist

Er liegt am Rande jeder Liga, die in ihren Augen alles richtig macht, während alle anderen Ligen falsch handeln

Er liegt am Rande jedes Verbandes, der sich selbst der Nächste ist

Er liegt am Rande jedes individuellen Blickfeldes, das nur die Einzelperson und ihre Einzelinteressen in den Fokus rückt

Lasst uns alle zusammen die Tellerränder finden, erklimmen und überblicken, damit diese wunderbare Sportart wieder auferstehen kann…