22. Juli 2011

Eishockeykarriere und dann…

Die aktuelle Nachricht vom Wechsel des Manuel Klinge

hat mich dazu bewegt wieder einmal zu schreiben. Warum gerade diese Nachricht, mögen sich da einige fragen. Das hat zwei Gründe. Zum einen wurde ich zu genau dem gleichen Schritt vor 13 Jahren getrieben und zum anderen weist sie auf die Lage hin, in der sich Eishockey als Profisportart befindet. Der direkte Kommentar zur Nachricht von Tom Kasper spricht mir dabei aus der Seele: „ich finde es spricht nicht für die attraktivität einer liga, wenn sich ein nationalspieler mit 26 gezwungen sieht die sportliche karriere hinten anzustellen. (wenn es nicht gerade außergewöhnliche persönliche gründe hat)“. Ich gehe sogar weiter und sage, dass es ein Armutszeugnis für eine Profiliga ist, wenn es sich ein Nationalspieler finanziell nicht leisten kann, sein Studium nach Karriereende in Angriff zu nehmen. Vor kurzem hat mit Patrik Reimer, ebenfalls Nationalspieler, ein weiterer Profispieler seine Beweggründe für eine Ausbildung veröffentlicht.

Ist es das Spielergehalt oder der Mangel an Perspektive?

Man würde es sich zu einfach machen, wenn man einfach nur schimpft, dass das doch nicht sein kann. Es gilt vielmehr zu klären, was die Spieler dazu treibt, sehr frühzeitig an die Zeit nach dem Sport zu denken. Ein vorrangiger Grund ist sicherlich das gegenwärtige Einkommen. Bei Spielergehältern zwischen 45.000 und 80.000 Euro netto pro Saison (Saison bedeutet hier 8-9 Monate) kann sich jeder Außenstehende bestimmt vorstellen, dass nach zehn bis fünfzehn Jahren Profidasein nicht genug Geld übrig ist, um sorglos durch den Alltag zu spazieren. Immerhin kann man mit 35 oder 38 Jahren schlecht Rente beantragen. Und das will auch niemand. Zu groß ist im besten Alter der Tatendrang. Man will noch was bewegen,  etwas (er)schaffen. Natürlich ist das als Trainer oder Sportdirektor möglich. Doch auch dafür benötigt man eine Ausbildung. Trainerscheine werden üblicherweise von Vereinen gezahlt. Allerdings hat im Hire&Fire Zeitalter auch das Interesse am Beruf Trainer abgenommen. Dies ist schon alleine daran zu erkennen, dass diverse Trainer nur zu oft innerhalb weniger Ligen „umherwechseln“. Allein aus Mangel an Alternativen werden häufig (gerade entlassene) Trainer von anderen Clubs wieder eingestellt. Es gibt nur wenige ambitionierte „Nachwuchstrainer“ mit echten Perspektiven und Chancen. Sportdirektoren sitzen im Gegensatz dazu eher „sicher im Sattel“. Allerdings schrecken viele Spieler davor zurück, sich diesem Job zu stellen. Denn Sportdirektor im Eishockey ist nicht Sportdirektor wie man es z.B. vom Fußball kennt. Dort kümmert sich ein Sportdirektor tatsächlich nur um Sportliches. Im Eishockey hingegen wird jeder Sportdirektor mit den Aufgaben eines Managers beladen. Ohne Grundwissen muss man sich um rechtl. (Spielerverträge, Mietverträge, etc.) und betriebswirtschaftliche (Budget- bzw. Etatplanung, Jahresabschlüsse, etc.) Aspekte kümmern. Mängel kommen erst bei Betriebsprüfungen oder im Lizenzierungsverfahren zu Tage. Nötige Zusatzqualifikationen sind die meisten Clubs nicht bereit zu finanzieren. Irgendjemand im Vorstand prüft schon die Kassen… Allerdings oft erst wenn es zu spät ist. Andere Positionen im Verein (z.B. Verwaltung, Kommunikation oder Ticketing) sind entweder unterirdisch bezahlt (irgendein „Fan“ arbeitet immer für schlechtes Geld) oder extern besetzt, um Leistung nur auf Abruf bezahlen zu müssen. Was bleibt dann noch an internen Arbeitsplätzen in einem Verein?

Branchenfremder Berufseinstieg mit 38, mission impossible?

Die Erkenntnis für viele Eishockeyspieler ist die, dass man nach Karriereende einen Berufseinstieg in eine fremde Branche ohne anrechenbare Berufserfahrung vor sich hat. Wenn man diese Situation vermeiden will, muss man frühzeitig an der Qualifikation arbeiten. Die Möglichkeiten, die z.B. Patrik Reimer in Düsseldorf geboten werden, hat nicht jeder. Eine Lehre mit der Profikarriere zu verbinden ist fast unmöglich. Besser sieht es da mit Schule und Studium aus. Studiumbedingte Praktika können in der Sommerpause vorgenommen werden. Das Ende des Studiums kann man hinauszögern, allerdings nicht grenzenlos. Spätestens mit 30 Jahren „droht“ dann der Abschluss. Was passiert in fünf Jahren weiterer sportlicher Karriere mit dem Diplom oder Examen? Es wird für Unternehmen, die Absolventen einstellen, wertlos. In der heutigen Zeit wählen viele Firmen ihre Nachwuchskräfte bereits während der Praktika oder Diplomarbeiten aus. Der Übergang erfolgt oft schleichend vom Werkstudenten zum Abteilungsleiter. Wo bleibt da ein Eishockeyspieler, der noch fünf Jahre spielen will und kann? Auf der Strecke! Es sei denn er wechselt in untere Klassen. Bereits in der 2.Bundesliga sind Halbprofis nicht unbedingt eine Seltenheit. Zwar klettert man firmenintern die Karriereleiter deutlich langsamer, aber man hat ja auch ein doppeltes Einkommen. Und was noch wichtiger ist. Man sammelt Berufserfahrung und der Arbeitgeber lernt die ungeheure Belastbarkeit von Profisportlern kennen und schätzen. Ein Karriereschub nach Karriereende ist also durchaus zu erwarten. Mission possible heißt es demnach nur für unterklassige Halbprofis.

Die Erkenntnis aus 15 Jahren Erfahrung…

Das Modell Wintersport ist richtungsweisend. Was meine ich damit? Ich spiele damit auf das Konzept der Förderung für Skifahrer, Langläufer, Biathleten oder Rennrodler an. Da die Einkommensverhältnisse dieser Sportler ähnlich denen der Eishockeyspieler sind, üben fast alle Athleten nebenbei eine Tätigkeit bei der Bundeswehr, der Polizei oder dem ehemaligen Bundesgrenzschutz, dem BAG, aus. Vereinzelt arbeiten auch manche bei Sportartikelfirmen oder Sponsoren des Rennzirkus in der Sommerpause. Die höchste Deutsche Liga, die DEL, befindet sich gerade auf dem Scheideweg. Schafft man es zur echten Profiliga zu avancieren oder geht es eher in Richtung absolutes Schattendasein. Was auch passiert, es wird den Lebensweg, den Spieler in Zukunft gehen werden (müssen), prägen. Denn es muss eine Entwicklung in eine der beiden Richtungen geben. Entweder entwickeln die Clubs richtige Infrastrukturen, in denen ehemalige Spieler auch wirkliche Perspektiven haben, oder man ermöglicht den Spielern ein Halbprofitum, im Rahmen dessen sie sich für den späteren Arbeitsmarkt fit machen können.

In der derzeitigen Situation ist der Schritt von Manuel Klinge völlig nachvollziehbar und auch kein Einzelfall.  Ich würde, für meinen Teil, jeden Spieler in der DEL dazu motivieren, den gleichen Schritt wie Manuel Klinge zu gehen. Vielleicht verstehen die „Macher“ der DEL erst dann wieviel die Uhr geschlagen hat, wenn der Liga die Spieler ausgehen, weil sie lieber Halbprofis mit Perspektive sein wollen, als perspektivlose Profis.  Vermutlich würde die Attraktivität der DEL nicht im Geringsten darunter leiden, eine semiprofessionelle Liga zu sein. Sehr wahrscheinlich würde es in Deutschland niemandem auffallen und den wenigen Fans  wäre es egal. Für die Spieler allerdings steht das Leben nach dem Sport auf dem Spiel…

Grüße von einem ehemaligen Karriereabbrecher,

Euer Manuel Hiemer